Erhalt von Streuobstsorten

von Markus Zehnder, Landratsamt Zollernalbkreis

Das Festlegen neuer Obstsorten war für unsere Vorfahren verhältnismäßig einfach. Noch vor 100 Jahren entstanden die meisten Sorten aus Zufallssämlingen, die entweder im Wald oder auf Wiesen gefunden wurden. Dies führte dazu, dass sehr schnell eine große Anzahl von Sorten verbreitet wurde. Während Johann Bauhinus (1541 – 1613) aus dem Raum Bad Boll bei Göppingen/Baden Württemberg lediglich 833 Kernobstsorten beschrieb, wurden von W.J. Dümler 1661 bereits mehr als 400 Kernobstsorten und von Diel (1756 – 1839) unter dem Einfluss der Systematik bereits etwa 1500 Apfelsorten benannt.

Eingehend mit dieser Entwicklung wuchs die Erkenntnis, dass ein rationeller Obstbau nur möglich ist, wenn dieser Sortenflut Einhalt geboten wird und so entstanden Bestrebungen zur Sortenvereinheitlichung.

Das erste Reichsobstsortiment, das von namhaften Pomologen 1853 in Naumburg festgelegt wurde, umfasste lediglich 10 Sorten. Es zeigte sich jedoch, dass diese Einschränkung zu einschneidend war und so wurde das Reichssortiment bis 1874 auf 50 Sorten erweitert.

Nach dem ersten Weltkrieg traten an die Stelle der Reichssortimente verschiedene Landes- und Regionalsortimente, um den Verhältnissen einzelner Landschaften besser Rechnung zu tragen. Neben Tafelobstsorten enthielten diese Sortimente auch Empfehlungen für Sorten zum Mosten und Dörren, denn diese Verwertungsarten hatten damals eine große wirtschaftliche Bedeutung. Besonderes Interesse erfuhren stets die Lokalsorten, die auf die jeweiligen Standortverhältnisse bestens angepasst waren, jedoch nur selten eine überregionale Bedeutung erlangten und daher lediglich in Regionalsortimente aufgenommen wurden.

Abb. 1: Obstausstellung, Landesgartenschau Singen 2000

Doch auch großräumig angelegte Umveredelungs- und Rodungsaktionen sowie das mangelnde Wissen der jüngeren Generation um die Kenntnis alter Sorten haben dazu geführt, dass eine große Anzahl an Sorten als verschollen gilt.

Wenn auch manche Sorte aus gutem Grund nicht mehr angebaut wird, so kann sie doch Eigenschaften tragen, die heute oder in Zukunft für die Züchter von Interesse sind. Die Züchtung erfolgte beim Kernobst lange Zeit fast ausschließlich nach Kriterien für Tafelobst. Andere Verwertungsarten wie Mosten, Dörren, Backen, Brennen usw., aber auch Eigenschaften wie Wuchskraft und Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten traten in den Hintergrund. Gerade im Streuobst werden heute aber Sorten benötigt, die vielseitig verwertbar, starkwüchsig und wenig krankheitsanfällig sind. Falls diese Verwertungsarten zukünftig neue Geltung erhalten, bedeutet dies für viele alte Sorten eine neue Chance.

Häufig sind es aber auch ganz bestimmte Sorteneigenschaften, die wieder interessant werden könnten. Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts kam beispielsweise die „Normännische Ciderbirne“ in Misskredit, weil sie kleinfrüchtig war und sofort teigig wurde. Infolgedessen wurden viele Bäume dieser Sorte umgepfropft oder gerodet. Eine interessante Eigenschaft hat sie jedoch von allen anderen Sorten herausgehoben: Ihr Wuchs war pappelartig schmal und stark, daher ist sie ideal zur Bepflanzung entlang von Straßen geeignet.

Abb. 2: ‚Normännische Ciderbirne‘ – Obstausstellung Hohenheim 2002

Maßnahmen zur Erhaltung alter Sorten können mit unterschiedlichster Zielsetzung erfolgen. Einerseits gilt es, möglichst viele Sorten in Form einer Genbank zu sammeln. Dies erfolgt in Deutschland an der „Genbank Obst“ in Dresden-Pillnitz. Dort sind derzeit mehr als 2600 verschiedene Obstsorten und Wildarten, darunter ca. 1000 Apfelsorten zusammengetragen. Diese Sammlung dient neben landeskulturellen und pomologischen Aufgaben vor allem als Ausgangsmaterial für die Obstzüchtung.

Daneben gibt es bei einzelnen Institutionen, Organisationen und Privatpersonen umfangreiche Sortengärten (sog. Sortenerhaltungszentralen), die häufig mehrere hundert Sorten enthalten. Sie dienen neben dem Sortenerhalt in erster Linie der Beobachtung hinsichtlich ihrer Sorteneigenschaften. Im Vordergrund stehen hier Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten und Schädlingen, Verwertungseigenschafen und Wuchscharakter. Da viele Sorten nicht uneingeschränkt zum Anbau empfohlen werden können, sind diese Beobachtungen sehr wichtig für die Praxis.

Von besonderer Bedeutung sind regionale Sortenerhaltungsgärten. Diese meist von Obst- und Gartenbauvereinen, Obstbauverbänden, Naturschutzverbänden und Privatpersonen angelegten Pflanzungen sollten neben den Hauptsorten auch Lokalsorten umfassen, die sich für die einzelnen Regionen besonders bewährt haben. Neben der Beobachtung hinsichtlich der Sorteneigenschaften können von diesen Sortenerhaltungsgärten auch Edelreiser zur Veredelung gewonnen werden. Die in Baden-Württemberg aufgebauten Lehrgärten werden beispielsweise in einer Broschüre den Ministeriums Ländlicher Raum eingehend beschrieben.

Voraussetzung für den Aufbau von Sortenerhaltungsgärten ist die lokale Erfassung der noch vorhandenen Obstsorten. Die Bestimmung von Sorten an Hand von Beschreibungen und Farbabbildungen ist jedoch nur dann Erfolg versprechend, wenn ganz charakteristische Merkmale bekannt sind. Dies ist aber in den seltensten Fällen möglich. Der Kontakt zu praktischen Obstbauern ist daher zur Sortenerfassung unerlässlich.

Erste Ansprechpartner für alte Sorten sind die früheren Baumwarte. Häufig erinnern sich auch ältere Landwirte oder Mitglieder von Obst- und Gartenbauvereinen an einige Sorten. Bei der Suche nach Lokalsorten ist dieser Kontakt meist die einzige Möglichkeit, überhaupt an Nennungen zu gelangen. Daneben können Suchaufrufe in Fachzeitschriften oder regionalen Blättern erfolgen. Überaus interessant ist das Abhalten regionaler Obstausstellungen mit dem Angebot einer Sortenbestimmung durch erfahrene Pomologen. Häufig zeigt es sich jedoch, dass die vermeintliche Lokalsorte eine bekannte Sorte ist, die lediglich unter einem lokalen Synonym geführt wird. Die vielzahl an Synonymen führt in vielen Fällen zur Verwirrung, da dieselben Synonyme für ganz unterschiedliche Sorten gebraucht werden.

Der Erhalt einzelner Sorten ist erst dann sicher gewährleistet, wenn wieder Jungbäume in ausreichender Zahl gepflanzt werden. Hierzu ist es erforderlich, dass interessierte Baumschulen die zur Anpflanzung empfehlenswerten Sorten in ihr Vermehrungssortiment aufnehmen. Sortenliebhaber haben dann die Möglichkeit, gezielt alte Sorten zu pflanzen. Daneben wäre es wünschenswert, wenn im Rahmen von Flurbereinigungsverfahren, Ausgleichsmaßnahmen oder auf Flächen, die zum Zwecke des Naturschutzes erworben wurden, robuste, alte Obstsorten bevorzugt werden.

Abb. 3: Sortengarten im Zollernalbkreis

Vorbildlich organisiert sind die Initiativen zur Erhaltung traditioneller Obstsorten in der Schweiz. Im Rahmen der schweizerischen Komission zur Erhaltung der Kulturpflanzen organisieren sich mehrere sehr aktive Vereinigungen. Neben einigen vorwiegend regional organisierten Gruppierungen arbeiten „Pro Specie Rara“ und „Fructus“ kantonsübergreifend. „Pro Specie Rara“ (PSR) ist eine 1982 errichtete gemeinnützige Stiftung, die zum größten Teil aus privaten Spenden finanziert wird. Daneben besteht die Möglichkeit, Patenschaften für Bäume zu übernehmen oder die Rettung einer bestimmten Sorte zu finanzieren. Anfangs lag der Schwerpunkt der Arbeit auf Tierprojekten, bis 1985 das Projekt „Alte Obstsorten“ begonnen wurde. Zur gleichen Zeit wurde „Fructus“ gegründet, um die genetische Vielfalt der einheimischen Sorten zu erhalten. Beide Organisationen arbeiten von Beginn an eng zusammen. Während sich „Fructus“ auf größere Sortenerhaltungsgärten konzentriert, errichtet „PSR“ viele kleine, dezentrale Anlagen, die mit Privatpersonen vertraglich abgesichert sind. Daneben wird gemeinsam an der Erstellung und Führung einer Sortendatenbank gearbeitet. Ein Auszug davon, der etwa 3000 Kernobstsorten umfasst, wird als CD-ROM angeboten. Seit 1999 werden zwei Obstprojekte durch den nationalen Aktionsplan des Bundes mit 1 Mio. sFr unterstützt.

In Niederösterreich hat der „Ökokreis Waldviertel“ ein Sortenerhaltungskonzept aufgebaut, welches zur Erfassung und Erhaltung von inzwischen 600 Sorten geführt hat. Unterstütz werden diese Aktivitäten durch einen Forschungsauftrag zweier Bundesministerien. Daneben gibt es auch in weiteren Ländern Organisationen, die sich der Erhaltung alter Obstsorten verschrieben haben.